Press
October 2, 2009
Swiss paper on Khalifa (German)

Swiss paper on Khalifa (German)

Syriens ungeliebte Söhne, Susanne Schanda

Wie regimekritische Autoren an der Zensur vorbeischreiben Überdimensionierte Porträts des Präsidenten Bashar al-Asad blicken in ganz Syrien von Plakatwänden und Hausfassaden. Sie scheinen die Untertanen daran zu mahnen, dass seinem wachsamen Auge nichts entgeht. Der Geheimdienst mit seinem Heer von Spitzeln sieht und hört alles. Dies ist besonders für unabhängig denkende Intellektuelle und Künstler ein Ärgernis. Dennoch treibt die Kreativität in Syrien erstaunliche Blüten.

Khaled Khalifa sitzt im Café Nofara gleich hinter der Omaijaden-Moschee in Damaskus und grinst übers ganze Gesicht: «Ihr Europäer macht immer so ein Theater um Zensur und verbotene Bücher, als ob ein verbotenes Buch besser wäre als ein anderes. Für uns ist Zensur Alltag, wir leben und arrangieren uns seit Jahrzehnten damit.» Er kenne zahlreiche Beamte der Zensurbehörde persönlich, rufe sie an und beschwere sich, wenn sie etwas in einem Roman von ihm streichen wollten, erzählt Khalifa. Das nützt zwar nichts, ist aber gut fürs Selbstvertrauen. Dann sieht er sich um, trinkt seinen Kaffee aus und schlägt vor, das Lokal zu wechseln.

Der Feind hört mit

Das Café Nofara ist ein berühmtes altes Strassencafé, wo man, an klapprigen Metalltischchen sitzend, den Strom der Passanten durch die Hauptader der Altstadt verfolgen kann. Zahlreiche Passanten bleiben aber auch im Café hängen, und der Autor kennt nicht jeden. «Die Spitzel des Geheimdiensts sind überall», sagt er nebenbei, als würde er feststellen, dass die Sonne scheint. Der 44-jährige Khaled Khalifa ist in Syrien und der arabischen Welt als Romancier und Drehbuchautor von TV-Serien bekannt. Die Serien garantieren ihm den Lebensunterhalt, vom Romanschreiben kann in der arabischen Welt niemand leben. Zurzeit arbeitet Khalifa an einem Spielfilmprojekt über die Auswirkungen des Krieges im Irak auf die Zivilbevölkerung. Mehrere internationale Produktionsfirmen sind daran beteiligt. Letzte Woche flog der rührige und gut vernetzte Autor nach Kairo, um dort über Schauspieler zu verhandeln, demnächst will er mögliche Drehorte bei Palmyra besichtigen, denn im Irak selbst ist es zu gefährlich zum Drehen.

Im Jahr 2006 erschien Khaled Khalifas jüngster Roman, «Madih al Karahiya» (Zum Lobe des Hasses), in einem syrischen Verlag und wurde sofort verboten. Der Roman bezieht sich auf ein nationales Tabuthema, den blutigen Kampf der syrischen Armee gegen militante Islamisten in den 1980er Jahren in der Stadt Hama, bei dem rund 10 000 Menschen umgebracht wurden. Der Autor transformiert diese Ereignisse in seinem Roman in eine Familiengeschichte und verlegt sie nach Aleppo. Das Buch wurde ein Jahr nach dem Verbot in einem libanesischen Verlag zum zweiten Mal publiziert und kann in der ganzen Welt legal gekauft werden – ausser in Syrien. Im letzten Jahr wurde das Buch für den Internationalen Preis für Arabische Fiktion nominiert, auch Arabischer Booker-Preis genannt. Khaled Khalifa stellt sich mit Vergnügen vor, wie das Regime in Verlegenheit gekommen wäre, hätte er den Preis gewonnen. Trotz Verbot kann das Buch auch in Syrien gekauft werden, allerdings unter dem Ladentisch. Die Literaturszene im Land ist überblickbar, jeder kennt jeden und weiss, über welche Kanäle man die illegale Ware bekommen kann.
Satire auf den Führerkult

Andere Tricks wendet Nihad Siris (58) an. Der Schriftsteller aus Aleppo, der für seine historischen Romane über die Geschichte Syriens und Fernsehserien über gesellschaftliche Themen bekannt ist, publiziert seine Bücher meist im arabischen Ausland, doch kann man sie in Syrien legal kaufen. Das erstaunt besonders bei einem Roman, der kürzlich im Lenos-Verlag unter dem Titel «Ali Hassans Intrige» auf Deutsch erschienen ist. Das Buch ist eine bitterböse Satire auf den Führerkult in einer arabischen Diktatur. Es erzählt von einem Tag im Leben des mit Schreibverbot belegten Autors Fathi Schin, und zwar dem 20. Jahrestag der Machtergreifung durch den «Grossen Führer». Die Strassen der Stadt sind verstopft von einem sich
langsam vorwärtswälzenden, schwitzenden Menschenstrom, jeder Zweite hält ein Plakat mit dem Bild des Führers empor, Einpeitscher mit Megafon dirigieren Sprechchöre, die dümmliche Ehr- und Liebesbekundungen für den Führer ausstossen: «Grandi . . . grandios . . . Führer, du bist gross!» Wer sich dem Umzug nicht anschliesst, sieht sich die Propagandaveranstaltung zu Hause vor dem Fernseher an, die Lautstärke voll aufgedreht, um jeglichem Verdacht, man sei nicht patriotisch genug, zuvorzukommen. Nur Fathi Schin glaubt, sich raushalten zukönnen. Doch dem Regime genügt sein Schweigen nicht mehr, jetzt soll er für die Propagandamaschinerie singen. Dass ein solcher Roman in Syrien nicht verboten wird, ist fast unglaublich. In der Bar des einst gediegenen Hotels Baron in Aleppo lächelt Nihad Siris fein, stopft sich in Ruhe eine Pfeife und erklärt mit leiser Stimme: «Niemand kann mir nachweisen, dass es um Syrien geht. Das steht nicht explizit im Roman. Meine literarische Führer-Figur ist klein und dick, während unser früherer Präsident, auf den ich mich beziehe, gross und schlank war, wie auch sein Sohn, der jetzige Präsident. Der Name des Schauplatzes wird nicht genannt, doch jeder, der in Aleppo lebt, kennt die Strassen und Plätze und selbst das Hotel, in dem der Führer seine Rede hält.» Trotz diesen literarischen Tricks, die der Autor als kreative Herausforderung ansieht, liess er den Roman im Ausland publizieren. Sicher ist sicher. Dann erzählt Nihad Siris vom autobiografischen Hintergrund dieses Romans. Zwar wurde ihm nicht explizit ein Schreibverbot auferlegt, doch man liess ihn ab 2001 nicht mehr fürs syrische Fernsehen schreiben und verhinderte, dass der eben in Beirut publizierte Roman «Halet Shaghaff» (Ein Fall von Leidenschaft) in die syrischen Buchhandlungen kam. Siris, der wie Khaled Khalifa vom Drehbuchschreiben für TV-Serien lebt, war wie gelähmt durch diese Eingriffe, hörte auf zu schreiben und kehrte zu seinem früheren Beruf als Bauingenieur zurück. «Nach knapp drei Jahren des Schweigens setzte ich mich an den Computer und schrieb mir dieses Buch von der Seele.» Wie steht ein Autor drei Jahre literarisches Schweigen durch, ohne verrückt zu werden? Siris blickt nachdenklich vor sich hin und sagt: «Es gibt immer eine Lösung. Am besten sind Liebe, Sex und Humor.»

Kurze Blütezeit der Hoffnung

Heute schreibt der Autor Film- und Fernsehdrehbücher für ausländische Produktionsfirmen, Artikel und Kolumnen für Zeitungen in den Golfstaaten, Jordanien und Libanon und publiziert seine Bücher im Ausland. «In Syrien habe ich keine Chance. Ich bin nicht beliebt beim Regime», sagt er lakonisch. Wie viele Künstler und Intellektuelle schöpfte auch Nihad Siris Hoffnung, als im Jahr 2000 mit Bashar al-Asad eine neue Ära anzubrechen schien. Politische Gefangene wurden entlassen, das Land öffnete sich, intellektuelle Debattierklubs wurden geduldet, doch der sogenannte Damaszener Frühling währte nicht lange. In Aleppo brennt die Mittagssonne auf den fast menschenleeren Platz al-Jabiri vor dem Hotel As-Syahi, einem wichtigen Schauplatz aus Nihad Siris’ Roman. Porträts des Präsidenten blicken streng von den vier quadratisch an den Ecken des Platzes angeordneten Beleuchtungskörpern und winken freundlich von Transparenten auf Hausfassaden. «Der Führer-Kult mit orchestrierten Jubelveranstaltungen hat in den letzten Jahren wieder zugenommen», sagt der Autor. Dann wechselt er das Thema und beginnt, eine Liebesgeschichte zu erzählen, die er kürzlich geschrieben hat. Es gibt immer eine Lösung.

First published on  31.07.2009 in Neue Zürcher Zeitung